Warum nicht Geothermie eine Chance geben

Alles in allem erscheint das Thema Geothermie mittel- und langfristig Investment-Opportunitäten zu schaffen. Von Gerhard Wagner, Swisscanto*

Die Losung der amerikanischen Regierung hält seither die an Nachhaltigkeit interessierten Anlegerinnen und Anleger im Bann: Sie müssen sich jetzt fragen, unter welchen Vorzeichen der Wandel hin zu einer klimafreundlicheren und dekarbonisierten Wirtschaft stattfinden kann. Aber was wäre, wenn die Öl- und Gasproduzenten eine neue Energiequelle mit derselben Technologie erschließen würden, mit der sie heute fossile Brennstoffe fördern? Gemeint ist: die Geothermie.

Denn inzwischen zeichnet sich ab, dass diese nachhaltige Energiequelle viel breiter angewendet werden könnte. Um die Chancen der Geothermie zu realisieren, bräuchte es jedoch zu Beginn staatliche Fördermaßnahmen. Dies, um in einem weiteren Schritt Investitionen der Privatwirtschaft im großen Stil auslösen zu können. Gemäß der IEA (Internationale Energieagentur) könnte die Geothermie damit innerhalb eines Jahrzehnts gegenüber anderen Energiequellen wettbewerbsfähig werden. Damit würde die Erdwärme auch auf die Agenda all jener rücken, die am nachhaltigen Investmentthema Dekarbonisierung und Klima interessiert sind.

Geothermie auf Island ist lange Standard

Doch der Reihe nach: Obwohl die Chancen der Geothermie seit Jahrzehnten erkannt sind, belegt sie unter den Quellen zur Stromerzeugung noch eine Nische. Sie deckt nicht einmal 1% des globalen Energiebedarfs ab. Bisher wurde Erdwärme vor allem in Ländern erschlossen, in denen der Zugang dank vulkanischen und tektonischen Aktivitäten nahe der Erdoberfläche relativ einfach ist. So etwa in Island, Italien, der Türkei, den USA, und den Philippinen.

Dank neuen technologischen Fortschritten könnte dieses Nischendasein aber bald der Vergangenheit angehören. Zu diesen Technologien gehören kilometertiefe Horizontalbohrungen und hydraulische Frakturierung, die ausgerechnet durch die oft kritisierten Schieferöl- und -gasgewinnung in Nordamerika verfeinert wurden. Mit den Verfahren könnte Geothermie in bis zu acht Kilometern Tiefe erschlossen werden. Ab fünf Kilometern wird im Grundgebirge der Erdkruste das große Potenzial für die Stromerzeugung vermutet. Nach Berechnungen der IEA könnten bereits Bohrungen bis auf dieses Niveau mehr Energie liefern als das so genannte technische Potenzial der Windenergie. Gegenüber Wind hat die Geothermie den Vorteil, dass die Stromerzeugung wetterunabhängig ist.

Folgt man dem Szenario der IEA, kann bei der Erschließung von Erdwärmequellen zu 80% auf vorhandene Technologien und auf Fachpersonal des Öl- und Gassektors zurückgegriffen werden. Prinzipiell stehen dabei verschiedene technologische Methoden zu Verfügung, um Erdwärme zu nutzen. In den vielversprechenden Closed-loop Geothermal (CLG) Systemen wird derweil das Wärmeträger-Medium – Wasser, Salzsole oder CO2 – in einem Kreislauf aus Rohren in die Tiefe und wieder an die Oberfläche geleitet.

Jene Technologien werden aktuell in Pilotprojekten getestet. Würden sie in großem Stil angewandt, bräuchte es dazu signifikante Mittel – die IEA rechnet mit Investitionen im Gegenwert von 1.000 Mrd. USD bis ins Jahr 2035. Davon könnten Unternehmen profitieren, die sich auf die Erschließung dieser Energiequelle spezialisieren, aber auch breit diversifizierte Energiekonzerne. […]

Gerhard Wagner

Laut IEA könnte die Geothermie mittels kontinuierlicher technologischer Verbesserungen und verminderter Projektkosten bis 2050 bis zu 15% des weltweiten Wachstums des Strombedarfs decken. Dies würde den kosteneffizienten Einsatz von bis zu 800 GW geothermischer Stromerzeugungskapazität weltweit bedeuten, die fast 6.000 TeraWattstunden (TWh) pro Jahr produzieren würde – das entspricht ungefähr dem Strombedarf der USA und Indiens zusammen. Alles in allem erscheint das Thema Geothermie mittel- und langfristig Investment-Opportunitäten zu schaffen.

*) Gerhard Wagner ist Head of Sustainable Investments Equities bei Swisscanto

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