Niemand spricht über die notwendige Rentenwende

Rentenwende? Das umlagefinanzierte deutsche Rentensystem ist nicht mehr mit der demografischen Entwicklung der Bevölkerung vereinbar. Von Prof. Dr. Florian Weigert*

Die Parteiprogramme zur Bundestagswahl 2025 stehen fest, und auch das erste TV-Duell liegt hinter uns. Doch eines fällt auf: Die zukünftige Finanzierung des Rentensystems spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Dabei steht Deutschland vor einem gigantischen Problem! Das umlagefinanzierte Rentensystem (Generationenvertrag; aktive Arbeitnehmer zahlen Beiträge, die direkt an Rentner ausgeschüttet werden) ist nicht mehr mit der demografischen Entwicklung der Bevölkerung vereinbar.

Schon im Jahr 2035 wird ein Viertel der deutschen Bevölkerung über 67 Jahre alt sein. Diese Rentner müssen dann von nur 56% der arbeitenden Bevölkerung im Alter von 20 bis 66 Jahren finanziert werden. Das ist das ungünstigste Verhältnis von Arbeitern zu Rentnern seit Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland. Die Belastung für die arbeitende Generation wird enorm steigen.

Ein Blick ins Ausland: Beispiel Schweden

Quelle: F.A.Z.

Ein Blick über die deutschen Landesgrenzen zeigt, dass eine nachhaltige Rentenreform durchaus möglich ist. Schweden hat sein Rentensystem bereits in den 1990er Jahren grundlegend reformiert und setzt seitdem auf ein sogenanntes Zwei-Säulen-Modell. Neben einer einkommensabhängigen umlagefinanzierten Basisrente wurde ein kapitalgedecktes Element eingeführt, das jedem Bürger erlaubt, einen Teil seines Bruttoeinkommens in individuell ausgewählte Fonds zu investieren. Diese Reform hat nicht nur die langfristige Stabilität des schwedischen Rentensystems verbessert, sondern auch die Rentenhöhe vieler Bürger erheblich gesteigert.

Die schwedischen Bürger können aus verschiedenen Fonds wählen, darunter auch der staatliche AP7-Fonds, der eine kostengünstige, breit diversifizierte und langfristig profitable Anlageform darstellt. Obwohl der Kapitalmarkt Schwankungen unterliegt, haben sich diese Investitionen über die Jahre als äußerst rentabel erwiesen – die durchschnittliche jährliche Rendite liegt bei rund 7%. Damit wird deutlich, dass ein kapitalgedecktes System nicht nur finanzielle Sicherheit im Alter bietet, sondern auch von der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert.

Warum handelt Deutschland nicht?

In Deutschland hingegen schrecken viele Politiker und Bürger noch immer vor einem Wechsel zu einem kapitalgedeckten System zurück. Kritiker befürchten vor allem mangelndes Vertrauen in den Kapitalmarkt und das Risiko von Börsenverlusten. Doch diese Argumente greifen zu kurz: Langfristige Untersuchungen zeigen, dass Aktieninvestitionen über Jahrzehnte hinweg eine deutlich höhere Rendite erzielen als andere Anlageformen wie Anleihen oder Sparbücher.

Rentenwende dringend benötigt

Rentenwende dringend benötigt

Ein weiterer Aspekt ist die politische Kurzsichtigkeit: Eine Umstellung auf ein kapitalgedecktes System bringt große Herausforderungen mit sich, da in der Übergangsphase weiterhin die aktuellen Renten finanziert werden müssen, während parallel der Kapitalstock für künftige Rentner aufgebaut wird. Doch diese Übergangsphase ist notwendig, um das Rentensystem langfristig zu stabilisieren und kommende Generationen vor einer untragbaren Belastung zu bewahren.

Vorschlag für die Zukunft

Es ist höchste Zeit, ein kapitalgedecktes Rentensystem einzuführen, bei dem Rentenansprüche aus einem angesparten Kapitalstock finanziert werden. Dabei sollte es sich nicht um restriktive Versicherungsprodukte wie die Riester- oder Rürup-Rente handeln. Diese Ansätze sind nicht flexibel genug und wenig attraktiv. Vielmehr sollte Arbeitnehmern von Beginn ihrer Berufskarriere an die Möglichkeit gegeben werden, steuerfrei in den Kapitalmarkt zu investieren – beispielsweise in ein breit diversifiziertes Aktienportfolio. […]

Fazit

Prof. Dr. Florian Weigert zur Rentenwende

Prof. Dr. Florian Weigert

Deutschland steht vor einer historischen Herausforderung, die Altersvorsorge nachhaltig zu reformieren. Länder wie Schweden zeigen, dass ein Wandel möglich und rentabel ist. Es liegt nun an der Politik, die notwendigen Schritte einzuleiten, um das Rentensystem zukunftsfähig zu machen. Wenn dieses Thema im Wahlkampf weiterhin ignoriert wird, droht der deutschen Bevölkerung nicht nur eine Rentenlücke, sondern eine handfeste soziale Krise.

*) Prof. Dr. Florian Weigert ist Professor für Financial Risk Management an der Universität Neuchâtel.

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