Der BGH hatte sich jüngst mit der Rechtsanwaltsvergütung bei einem Tätigwerden für mehrere Anleihegläubiger zu befassen. In dem betreffenden Rechtsbeschwerdeverfahren hat der BGH (Az. IX ZB 10/23) entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der in einer gerichtlichen Angelegenheit für mehrere Anleihegläubiger tätig wird, die wiederum zuvor einen gemeinsamen Vertreter für alle Anleihegläubiger (gV) bestellt haben, in der Regel keine erhöhte Verfahrensgebühr verlangen kann. Von Dr. Lutz Pospiech und Lena Gerhard
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Beschluss des BGH vom 17.10.2024
Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Fall waren Orderschuldverschreibungsgläubiger (Anleihegläubiger) Antragsteller in einem Kostenfestsetzungsverfahren, in dem der BGH über die Geltendmachung einer erhöhten Verfahrensgebühr (Mehrvertretungsgebühr gem. Nr. 1008 VV RVG) zu entscheiden hatte. Nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Emittentin hatten die Anleihegläubiger gem. § 19 II 1 SchVG einen Rechtsanwalt als gV bestellt. In dem Hauptsacheverfahren traten die Anleihegläubiger als Nebenintervenienten auf.
Der gV beauftragte die Rechtsanwaltskanzlei, in er selbst tätig war, mit der Vertretung der Anleihegläubiger und der Prozessführung im Gerichtsverfahren. Das Verfahren wurde durch einen Vergleich beendet. Das Gericht legte die Kosten der Nebenintervention der Klägerin zu 11/12 auf und bestimmte, dass die Nebenintervenienten im Übrigen ihre Kosten selbst tragen.
Die Anleihegläubiger als Nebenintervenienten brachten in ihrem Kostenfestsetzungsantrag neben der Terminsgebühr eine erhöhte Verfahrensgebühr wegen der Vertretung „mehrerer Personen in derselben Angelegenheit“ in Ansatz. Die zuständige Rechtspflegerin lehnte in dem Kostenfestsetzungsbeschluss die geltend gemachte Mehrvertretungsgebühr insb. mit der Begründung ab, dass eine gemeinsame Vertretung der Nebenintervenienten erfolgt sei und daher keine Mehrheit von Auftraggebern vorliege, die eine Erhöhung der Verfahrensgebühr wegen Mehrvertretung rechtfertige. Hiergegen legten die Nebenintervenienten Beschwerde ein.
Entscheidungsgründe
Voraussetzung für eine erhöhte Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten gem. Nr. 1008 VV RVG ist, dass mehrere Personen Auftraggeber in derselben Angelegenheit sind. Entscheidend sei dabei aus Sicht BGH nicht, wer einen Anwalt als Prozessbevollmächtigten beauftragt hat; vielmehr könne auch eine einzelne Person für eine Personenmehrheit den Auftrag erteilen. Vorliegend habe der gV die Rechtsanwaltskanzlei im Namen der Anleihegläubiger mandatiert. Der Ansatz der erhöhten Gebühren scheitere nach dem BGH mithin nicht daran, dass der Prozessbevollmächtigte formal nur vom gV beauftragt worden ist.
Allerdings könne eine Mehrvertretungsgebühr vorliegend nicht verlangt werden, weil der Rechtsanwalt gar nicht „für mehrere Personen“ i.S.v. Nr. 1008 VV RVG tätig geworden sei. Der Sinn und Zweck dieser Gebührenerhöhung liegt darin, dass mit einer Mehrzahl an Beteiligten für die Prozessbevollmächtigten i.d.R. ein erhöhter Arbeitsaufwand und ein besonderes Haftungsrisiko einhergehen, die durch die erhöhte Gebühr kompensiert werden sollen. Nach Auffassung des BGH hatte der Prozessbevollmächtigte vorliegend aber – insb. mit Blick auf die Bestimmungen des SchVG – gerade keinen solchen Mehraufwand zu tragen, der eine erhöhte Gebühr rechtfertigen würden.
Durch die Bestellung des gV nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Emittentin sind die Anleihegläubiger gem. § 7 II 3 SchVG und § 19 III SchVG in ihrer Fähigkeit zur Ausübung und Geltendmachung ihrer Rechte eingeschränkt bzw. nicht mehr befugt. Der gV ist verpflichtet, sämtliche insolvenzspezifischen Rechte der Anleihegläubiger geltend zu machen. Die Anleihegläubiger müssen sich im Innenverhältnis daher auch als Gesamtheit behandeln lassen.
Die Bestellung des gV führt zur Beschränkung der Prozessfähigkeit der Anleihegläubiger, so dass eine Vertretung im Prozess durch den gV erforderlich ist. Eine Mehrfachvertretung in derselben Angelegenheit durch die Prozessbevollmächtigte sei daher nicht gegeben.
Auch durch das Weisungsrecht der Anleihegläubiger gegenüber dem gV entstehe für den Prozessbevollmächtigten kein Mehraufwand. Aus § 7 II 2 SchVG folge, dass nur die Gesamtheit der Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss verbindliche Weisungen erteilen kann. Auch insoweit liege vorliegend kein Mehraufwand vor, der eine erhöhte Verfahrensgebühr begründen könnte.
Es bestehe aus Sicht des BGH ferner kein erhöhtes Haftungsrisiko des Prozessbevollmächtigten. Aus der kollektiven Bindung der Anleihegläubiger gem. § 4 S. 1 SchVG folge, dass sich das Haftungsrisiko des gV und der von ihm eingeschalteten Erfüllungsgehilfen (§ 7 III 1 SchVG) aus dem Gesamtnennwert sämtlicher Schuldverschreibungen ergebe und nicht aus der Anzahl der Anleihegläubiger.
Fazit
Nach der Entscheidung des BGH ist dem Mehraufwand eines gV und der von ihm beauftragten Gehilfen, der ggf. durch die Einbindung einer Vielzahl von Anleihegläubigern entsteht, bereits durch eine entsprechend erhöhte Vergütung des gV Rechnung zu tragen. Diese Vorgehensweise sei nach Auffassung des BGH sachnäher als die Erhebung einer Mehrvertretungsgebühr, da der tatsächlich entstandene Mehraufwand vom gV, nicht hingegen von den Prozessbevollmächtigten getragen werde.
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