Der Gesetzgeber versucht gerade im Rahmen des geplanten Kleinanlegerschutzgesetzes[1] letzte Schlupflöcher im sogenannten Grauen Kapitalmarkt zu schließen. Vor dem Hintergrund der „Beerdigung“[2] der Mittelstandssegmente an den Börsen Stuttgart und Düsseldorf sollte aber nicht übersehen werden, dass gerade auch im Freiverkehr dringender Reform- und Überwachungsbedarf aus Sicht des Anlegerschutzes besteht. Beispielsweise wurden bislang mehr als 100 Mittelstandsanleihen mit einem Platzierungsvolumen von über 5 Mrd. EUR fast ausschließlich in den Freiverkehrssegmenten der Börsen Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf notiert (Entry Standard für Anleihen, Bondm und mittelstandsmarkt). Dabei sollen weit über 1 Mrd. EUR über die sog. Zeichnungstools der Börsen gezielt an Privatanleger vertrieben worden sein. In den Medien und Foren wird jüngst in diesem Zusammenhang wieder über eine massive Häufung von Marktmanipulation, Insiderhandel und sonstigen Verstößen gegen Kapitalmarktvorschriften, insbesondere im Zusammenhang mit Insolvenzen von Anleiheemittenten, berichtet.
Von Robert Michels, Partner, und Valeria Hoffmann, Associate, Dentons
Beachten Sie auch themenverwandt den Fachbeitrag zur Quasi-Adhoc-Pflicht als verkannte Haftungsgrundlage.
Die börslichen Zeichnungstools als „Köder“
Zu den Geschädigten gehören zahlreiche Privatanleger, die im Zusammenhang mit der Einführung der Zeichnungstools gezielt von den Börsen im Zusammenspiel mit Emissionsbegleitern und Anleiheemittenten geworben wurden.[3] Beim Einsatz dieses Zeichnungstools lassen sich die Börsen auch dafür vergüten (meistens mit einer fixen sowie einer variablen Komponente bezogen auf die Anzahl der über das Zeichnungstool verkauften Anleihen), dass die Emissionen von ihnen zusätzlich vermarktet werden, mit anderen Worten also, dass sie die Nachfrage bei Privatanlegern (mit)hervorrufen sollen. Diese Marketing- bzw. beinahe Vertriebstätigkeit, die mit dem klassischen Verständnis einer Wertpapierbörse wenig zu tun hat, könnte zunächst als Verstoß gegen § 5 Abs.4 BörsG zu werten sein. Dort ist die Pflicht eines Börsenträgers geregelt, dafür zu sorgen, dass keine Interessenkonflikte bezogen auf den ordnungsgemäßen Börsenbetrieb entstehen. Wenn eine Börse aber ihre Rolle als neutrale Plattform verlässt und aktiv Neuemissionen vermarktet (teilweise sogar bei Emittenten, bei denen die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells zumindest stark angezweifelt werden kann) und darüber hinaus auch noch prozentual an Anleiheverkäufen an Privatanleger beteiligt wird, dann ist dies wohl als ein Verstoß gegen den gesetzlichen Auftrag zu werten.
Haftungsaspekte für Börsen/ Emissionsbegleiter
Vor diesem Hintergrund stellt sich dann natürlich die Frage nach der Haftung der Börsen (und Emissionsbegleiter): Die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß WpPG trifft bei Freiverkehrsprospekten zunächst nur die Emittenten bzw. das jeweilige Management; dort ist aber im Insolvenzfall nicht mehr viel zu erwarten. Häufig übersehen wird in diesem Zusammenhang, dass auch ein Emissionsbegleiter (in Konstellationen, in denen er den Emissionsprozess entsprechend kontrolliert und beeinflusst hat) zu den Haftungsadressaten gehören kann. Der Nachweis hierfür wird aber einem Privatanleger nur in wenigen Fällen möglich sein. Das von der Rechtsprechung daneben entwickelte Haftungssystem der (engen und weiten) zivilrechtlichen Prospekthaftung dürfte im Regelfall auch nicht weiterführen. Die Prospekthaftung im engeren Sinne wird ganz mehrheitlich bei Vorliegen eines Wertpapierprospekts für nicht anwendbar erklärt und für die Prospekthaftung im weiteren Sinne fehlt es in der Regel an einem engen persönlichen Kontakt zwischen Emissionsbegleiter/Börse einerseits und Privatanlegern andererseits.[4] Ein sachgerechter Anlegerschutz wäre daher nur dann gewährleistet, wenn die Börsen und die Emissionsbegleiter aufgrund der besonderen Umstände bei der Nutzung des Zeichnungstools von den Zivilgerichten als Prospektverantwortliche angesehen würden oder der Gesetzgeber entsprechenden Klarstellungsbedarf sehen würde.
Weitere Baustellen
Weiterer Regelungsbedarf besteht insbesondere bezüglich der Intransparenz des Primärmarkts: Hier wären korrekte Meldungen zum (tatsächlich platzierten) Emissionsvolumen und den (tatsächlichen) Verkaufspreisen wünschenswert. Aber auch der Sekundärmarkt beinhaltet Schwächen: So finden Rückkäufe bzw. Aufstockungen von Anleihen weitestgehend „unbeaufsichtigt“ statt, was insbesondere bei starken Kursschwankungen problematisch ist. Ein weiterer Missstand, den es zu beheben gilt, ist die Tatsache, dass soweit ersichtlich keine Börse bislang ernsthaft versucht hat ihr eigenes Regelwerk in Bezug auf die systematisch erfolgende Verletzung der „Quasi Ad-hoc-Pflichten“ anzuwenden, was eine klare Benachteiligung für Privatanleger bedeutet und dem Insiderhandel damit in den zahlreichen Insolvenzkonstellationen Tor und Tür öffnet.
Fazit
Es scheint fast so, dass ein Privatanleger von Vermögensanlagen im Rahmen des Kleinanlegerschutzgesetzes zukünftig deutlich besser geschützt wird als beim Erwerb und Handel von Mittelstandsanleihen im Freiverkehr. Daher sollte es vom Gesetzgeber und der BaFin nicht versäumt werden, künftig ein wachsam(er)es Auge auf die Freiverkehrssegmente der Börsen zu werfen.
Ursprünglich erschienen im Special „Anleihen 2015“ von Ende Februar.
Beachten Sie auch themenverwandt den Fachbeitrag zur Quasi-Adhoc-Pflicht als verkannte Haftungsgrundlage.
Robert Michels,
Partner,
DENTONS, Frankfurt
Kontakt: robert.michels@dentons.com
[1] Bearbeitungsstand 10.11.2014 (http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Gesetze/2014-11-12-kleinanlegerschutzgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=2).
[2] FAZ vom 22.01.2015, „Börse Düsseldorf stampft mittelstandsmarkt ein“ und FAZ vom 10.12.2014, „Der Markt für Mittelstandsanleihen ist tot“.
[3] Ein Überblick zu den Zeichnungsfunktionalitäten der Börsen sowie den entsprechenden Vermarktungsmöglichkeiten findet sich bei Blättchen in FuS 2014, 121, „Die Zeichnungsfunktionalitäten der Börsen für die Platzierung von Wertpapieren“.
[4] Außerhalb der Prospekthaftung sind nur in ganz besonderen Konstellationen sonstige Anspruchsgrundlagen, beispielsweise aus deliktischer Haftung gegen Börsen bzw. Emissionsbegleiter denkbar.