Der Law Corner Beitrag von Dr. Christian Becker, Partner, und Lutz Pospiech, Rechtsanwalt, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München
Abweichend von einer Reihe von Gerichtsentscheidungen verschiedener Landgerichte hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a.M. in Sachen SolarWorld (Az. 4 U 98/14) entschieden, dass bereits die Einberufung einer Anleihegläubigerversammlung, die über Restrukturierungsmaßnahmen nach Maßgabe des § 5 SchVG abstimmen soll, das „Anbieten einer allgemeinen Schuldenregelung“ darstelle; dies habe im konkreten Fall ein außerordentliches Kündigungsrecht der Anleihegläubiger begründet. Eine solche Auslegung einer allgemeinen Schuldenregelung überzeugt jedoch nicht: Sie konterkariert die Intention des Gesetzgebers, durch die Kollektivbindung von Mehrheitsbeschlüssen die Restrukturierung von Anleihen zu erleichtern.
Allgemeine Schuldenregelung
In Anleihebedingungen ist das ordentliche Kündigungsrecht der Anleihegläubiger oft ausgeschlossen. Geregelt sind zumeist besondere Kündigungsgründe, auf die Anleihegläubiger eine fristlose Kündigung stützen können. In einer Reihe von Anleihebedingungen verschiedener Emittenten ist ein Kündigungsrecht für den Fall enthalten, dass „ein Gericht ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten eröffnet, oder der Emittent ein solches Verfahren beantragt, oder eine allgemeine Schuldenregelung zu Gunsten seiner Gläubiger anbietet oder trifft.“
Divergierende Gerichtsentscheidungen
Im Zusammenhang mit Klagen, die auf eine derartige Regelung in den Anleihebedingungen gestützt wurden, liegen diverse klageabweisende Urteile des Landgerichts Frankfurt a.M. und des Landgerichts Bonn vor, die in der Einberufung einer Gläubigerversammlung kein Anbieten einer allgemeinen Schuldenregelung sehen. Dies wurde u.a. damit begründet, dass mit einer „allgemeinen Schuldenregelung“ nur etwas gemeint sei, was einem Insolvenzverfahren gleichkommt – d.h. also eine sämtliche Gläubiger (auch Banken, Lieferanten etc.) einbeziehende Regelung anstelle einer sonst notwendigen Insolvenz, wie z.B. ein „Scheme of Arrangement“ nach englischem Recht. Das OLG Frankfurt a.M. geht hingegen davon aus, dass bereits die Einberufung zu einer Anleihegläubigerversammlung dann das Angebot einer allgemeinen Schuldenregelung darstelle. Gegen die betreffende Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. wurde Revision eingelegt.
Rechtliche Würdigung
Anleihegläubiger können durch Mehrheitsbeschluss Änderungen der Anleihebedingungen beschließen; sie entscheiden, ob sie Sanierungsbeiträgen zustimmen oder nicht. Die wirksam gefassten Beschlüsse einer Gläubigerversammlung sind dann aber für alle Anleihegläubiger verbindlich – unabhängig davon, ob sie an der Beschlussfassung teilgenommen oder ggf. gegen den Beschluss gestimmt haben.
Mit dieser kollektiven Bindungswirkung der Beschlüsse wäre es nicht vereinbar, wenn schon im Vorfeld jeder Anleihegläubiger durch eine individuelle Kündigung erreichen könnte, dass Beschlüsse der Gläubigerversammlung für ihn nicht gelten.
Fazit
Nach unserer rechtlichen Einschätzung stellt die Einberufung einer Anleihegläubigerversammlung keine „allgemeine Schuldenregelung“ dar. Ein fristloses Kündigungsrecht, das allein durch die Einberufung einer Gläubigerversammlung entstünde, würde die gesetzlich vorgesehenen Restrukturierungsmöglichkeiten nach Maßgabe des SchVG ad absurdum führen. Unabhängig von einer Entscheidung des BGH, die im oben beschriebenen Sinne ausfallen sollte, ist bei der Emission einer Anleihe darauf zu achten, keine „allgemeine Schuldenregelung“ als Kündigungsgrund in die Anleihebedingungen aufzunehmen.